Cybercrime

Staatsanwaltschaft im Irrtum! Inländische Gerichtsbarkeit bei Kryptobetrugsfällen

Schutzlosigkeit österreichischer Opfer und Motivation für Täter

Die Anzahl an Online-Betrugsfällen mit Kryptowährungen nehmen seit Jahren dramatisch zu. Opfer, die sich hilfesuchend an die Strafverfolgung wenden, werden von der Staatsanwaltschaft immer häufiger mit dem Agrument zurückgewiesen, dass der Schaden nicht in Österreich eingetreten sei und daher keine inländische Gerichtsbarkeit bestehe. Diese Praxis ist gleichermaßen besorgniserregend wie (insbesondere aus Opfersicht) nicht nachvollziehbar. Im Ergebnis führt diese Praxis zu einer nicht akzeptablen Schutzlücke für österreichische Opfer und motiviert die Tätergruppen (da diese keine Verfolgung durch die österreichische Justiz zu befürchten haben) gezielt in Österreich tätig zu werden. Aus juristischer Sicht nicht akzeptabel ist, dass Staatsanwaltschaften trotz Kenntnis zuständigkeitsbejahender Entscheidungen von Landesgerichten diese ignorieren.

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Herausforderung für Strafverfolgungsbehörden

Kryptobetrugsfälle stellen zweifellos auch juristische Herausforderung für Strafverfolgungsbehörden dar. Zwar bringt der Entwurf des Strafprozessrechtsänderungsgesetzes 2024 einige begrüßenswerte  Klarstellungen, wie etwa, dass

  • die Sicherstellung von Kryptoassets durch Übertragung auf Behördenwallets erfolgen soll.
  • eine Ausfolgung dieser Assets an Opfer auch im laufenden Ermittlungsverfahren möglich ist.

Regelungen im Zusammenhang mit der Frage der inländischen Gerichtsbarkeit finden sich im Gesetzesentwurf jedoch leider keine. Opfer sehen sich weiterhin regelmäßig mit der Einstellung von Ermittlungsverfahren aufgrund behaupteter fehlender Zuständigkeit konfrontiert.

Problematischer Ansatz mancher Staatsanwaltschaften

Einzelne Staatsanwält:innen stützen die Zurückweisung bei Kryptobetrugsfällen auf einen (unserer Meinung nach) missglückten Rechtssatz der Generalprokuratur, wenn Kryptoassets von einer ausländischen Handelsbörse wegtransferiert wurden. Trotz fehlender Kenntnis über den zugrundliegenden Sachverhalt des Rechtssatzes wird unreflektiert auf diesen verwiesen. Eine Begründung für die Zurückweisung, in der die rechtlichen Bestimmungen zur inländischen Gerichtsbarkeit den konkreten Umständen des Einzelfalls gegenüber gestellt werden, erhält das Opfer in den seltensten Fällen.

Die rechtliche Grundlage: §§ 62 und 67 StGB

Die Anwendbarkeit des österreichischen Strafrechts ist in den §§ 62 ff StGB geregelt. Für Kryptobetrugsfälle sind insbesondere § 62 StGB in Verbindung mit § 67 Abs 2 StGB relevant:

  • § 62 StGB normiert das Territorialitätsprinzip für Österreich. Es besagt, dass das österreichische Strafrecht für alle Straftaten gilt, die im Inland begangen wurden.
  • § 67 Abs 2 StGB definiert, wann eine Straftat als im Inland begangen gilt:
    1. Wenn der Täter im Inland gehandelt hat oder hätte handeln sollen (Handlungsort)
    2. Wenn ein dem Tatbild entsprechender Erfolg ganz oder zum Teil in Österreich eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters hätte eintreten sollen (Erfolgsort)

Anknüpfungspunkte für die österreichische Strafgerichtsbarkeit

Bei Kryptobetrugsfällen gibt es mehrere mögliche Anknüpfungspunkte für die österreichische Strafgerichtsbarkeit:

1. Der Handlungsort

Der Handlungsort liegt in Österreich, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tathandlung physisch in Österreich anwesend war. Dies gilt auch für Taten, die über das Internet begangen werden. Entscheidend ist der tatsächliche Aufenthaltsort des Täters, nicht etwa der Standort eines Servers oder die bloße Aufrufbarkeit einer Website in Österreich. Wenn es sich bei den Tätern – wie häufig in diesen Fällen – um unbekannte Täter (UT) handelt, kann auf den Handlungsort nicht abgestellt werden.

2. Der Erfolgsort

Die Bestimmung des Erfolgsortes bei Kryptobetrugsfällen ist komplex und teilweise umstritten. In der Praxis wird häufig die Natur von Betrugsdelikten als mehraktige Erfolgsdelikte und die Bedeutung von Zwischenerfolgen für die Bestimmung der Gerichtsbarkeit missachtet.

Hierbei muss zwischen zwei grundlegenden Szenarien unterschieden werden:

  • Transaktion von „Non-custodial Wallets“

„Non-custodial Wallets“ (Atomic Wallet, Ledger, Trezor, Exodus Wallet etc.) befinden sich am Mobiltelefon bzw dem Deskop oder als Hardware-Divice im alleinigen Verfügungsbereich des Nutzers. Abgesehen von Fällen, in welchen der Private-Key bzw. die Seedphrase Dritten bekannt ist (wie etwa aus RIP-Deal Fällen durch Ausspähung bekannt), hat nur der Nutzer die Kontrolle über seine Vermögenswerte.

Das Oberlandesgericht (OLG) Wien hat in einer Entscheidung (23 Bs 2/23x vom 16.2.2023) die Rechtsansicht vertreten, dass 

  • bei selbstschädigenden Transaktionen (das Opfer nimmt die Transaktion selbst vor) der Vermögensschaden am Aufenthaltsort des Opfers zum Zeitpunkt der Transaktionsfreigabe eintreten ist. Befindet sich das Opfer zum Transaktionszeitpunkt in Österreich besteht sohin auch inländische Gerichtsbarkeit.
  • bei fremdschädigenden Transaktionen (werden die Transaktionen von den Tätern vorgenommen) auf den Standort der Wallet bzw. des Private Keys, den Aufenthaltsort des Opfers und dessen Lebensmittelpunkt abzustellen ist.

Diese (in der Regel die österreichische Zuständigkeit begründende) Rechtsansicht des OLG Wien ist jedoch umstritten. Sie wirft etwa die Frage auf, wie mit Fällen umzugehen ist, in denen ein Opfer identische Private Keys in verschiedenen Wallets in mehreren Ländern gespeichert hat. Zudem steht sie im Widerspruch zur technischen Realität der Blockchain, bei der der tatsächliche Vermögensschaden in der dezentralen Struktur eintritt.

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  • Transaktion über Kryptodienstleister

Bei Kryptodienstleistern (wie Bitpanda, Binance, Kraken, Crypto.com etc.) verwahrt der Anbieter die Kryptowerte für den Nutzer. In diesen Fällen

  • tritt der Vermögensschaden (=Enderfolg) am Sitz des kontoführenden Kryptodienstleisters ein. Dies entspricht der etablierten Rechtsprechung des OGH zu Bankkonten.
  • wird teilweise die irrige Rechtsansicht vertreten, dass eine inländische Gerichtsbarkeit nur dann bestünde, wenn der Kryptodienstleister seinen Sitz in Österreich hat. Dies trifft jedoch nur auf wenige Anbieter wie Bitpanda und Coinfinty zu, nicht aber auf die Mehrheit der häufig genutzten internationalen Kryptohandelsbörsen. Diese Rechtsansicht ist aus mehreren Gründen problematisch:
    1. Sie schafft eine erhebliche Schutzlücke für österreichische Opfer von Kryptobetrug.
    2. Sie ignoriert wichtige Zwischenerfolge, die in Österreich eintreten können (wie die Täuschung oder Vermögensverfügung des Opfers, dazu sogleich).
    3. Sie führen wohl zweifellos dazu, dass sich Betrüger vermehrt auf Österreich konzentrieren und ihre Opfer gezielt dazu anleiten, Kryptohandelsbörsen im Ausland zu nutzen. Die aus dem Ausland agierenden Täter könnten ohne der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung durch die österreichische Justiz tätig werden.

3. Der Ort des Zwischenerfolgs

Besonders wichtig und von den Staatsanwält:innen oft übersehen wird, dass auch Zwischenerfolge die österreichische Strafgerichtsbarkeit begründen. Dies ist ein entscheidender Punkt, der in der Praxis häufig nicht ausreichend berücksichtigt wird.

Bei einem Betrug (§ 146 StGB) beispielsweise, bei dem das Opfer selbst Kryptowerte an den Täter transferiert, kann die Vermögensverfügung des Opfers als Zwischenerfolg gewertet werden. Befindet sich das Opfer bei der Vornahme des Transfers körperlich in Österreich, liegt dieser Zwischenerfolg in Österreich und begründet somit die österreichische Strafgerichtsbarkeit.

Dies gilt auch bei Transaktionen über Kryptodienstleister: Wenn sich das Opfer bei der Anweisung an den Kryptodienstleister körperlich in Österreich befindet, liegt der Zwischenerfolg in Österreich. Dies unabhängig davon, ob der Kryptodienstleister anschließend eine „Off-chain“- oder „On-chain“-Transaktion vornimmt.

Ein Praxisbeispiel zur Veranschaulichung

Nehmen wir an, ein Opfer aus Wien stößt im Internet auf der Webseite einer österreichischen Zeitung auf eine Werbung in dem vermeintlich ein österreichischer Prominenter (häufig gesehen: Armin Assinger, Armin Wolf, Karl Nehammer, etc.) Werbung für eine angeblich lukrative Investmentmöglichkeit macht. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Täter es gezielt auf österreichische Opfer abgesehen haben.

Nachdem das Opfer seine Kontaktdaten preisgegeben hat, wird es von einem vermeintlichen Finanzberater mit einer österreichischen (gespooften) Telefonnummer kontaktiert, der ihm hohe Renditen durch Investitionen in eine neue Kryptowährung verspricht. Überzeugt von den Aussichten, möchte das Opfer investieren und wird vom Täter angeleitet

  • ein Konto bei einer ausländischen Kryptohandelsbörse (Crypto.com, Binance, Kraken, etc.) zu eröffenen
  • von seinem österreichischem Bankkonto Geld zunächst auf das Konto bei der ausländischen Kryptohandelsbörse zu überweisen
  • das Geld in ein Bitcoin oder eine andere Kryptowährung zu wechseln und auf eine von den Tätern bekanntgegene Adresse zu transferieren.

Würde man der Rechtsansicht vieler Staatsanwält:innen folgen, wonach der einzig relevante Anknüfungspunkt für die Zuständigkeit der Sitz der verwendeten Kryptohandelsbörse ist, von der die Vermögenswerte schließlich in die Sphäre der Täter transferiert wurden, wäre die österreichische Strafverfolgung nicht zuständig. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine ausländische Strafverfolgungsbehörde für diesen Fall zuständig erklärt ist verschwindend gering. Dies würde dazu führen, dass die Opfer jegliche Chance auf Gerechtigkeit verwehrt ist und die Täter keine Verfolgung ihrer Taten durch Strafverfolgungsbehörden fürchten müssen. Ein untragbares Ergebnis.

Bei rechtlich richtiger Betrachtung ist die Zuständigkeit österreichischer Strafverfolgungsbehörden auf Grund der mehrfach eingetretenen Zwischenerfolge in Österreich zweifellos zu bejahren. In unserem Beispiel sind zumindest drei Zwischenerfolge eingetreten:

  1. Das Opfer war in Österreich, als es getäuscht wurde (erster Zwischenerfolg: Irrtumserregung).
  2. Die erste Überweisung erfolgte von von einem österreichischen Bankkonto und wurde von Österreich aus vorgenommen (zweiter Zwischenerfolg: Vermögensverfügung)
  3. Die Transaktion weg von der ausländischen Kryptohandelsbörse wurde ebenfalls von Österreich aus initiiert (dritter Zwischenerfolg: Vermögensverfügung)

Die Tatsache, dass die Kryptobörse im Ausland ansässig ist oder die Täter möglicherweise nicht in Österreich agierten, ist für die Begründung der inländischen Gerichtsbarkeit unerheblich.

Fazit, Ersuchen und Handlungsempfehlung

Die derzeitige Praxis der Staatsanwaltschaften schafft eine gefährliche Schutzlücke für österreichische Opfer von Kryptobetrug. Es ist dringend notwendig, dass die Strafverfolgungsbehörden ihre Vorgehensweise überdenken und die rechtlichen Gegebenheiten vollständig berücksichtigen.

Für Betroffene und deren Vertreter ist es wichtig zu wissen:

  1. Der Ort des Zwischenerfolgs (z.B. die Irrtumserregung oder Vermögensverfügung des Opfers) kann die österreichische Strafgerichtsbarkeit begründen.
  2. Dies gilt sowohl für direkte Kryptotransaktionen als auch für Transaktionen über Kryptodienstleister.
  3. Entscheidend ist der physische Aufenthaltsort des Opfers bei der Vornahme des Transfers oder bei der Täuschungshandlung.

Als Rechtsanwälte, Staatsanwälte und Richter sind wir aufgerufen, diese komplexen Zusammenhänge zu verstehen und korrekt anzuwenden. Nur so können wir dem zunehmenden Problem des Kryptobetrugs wirksam begegnen und den Rechtsstaat auch im digitalen Zeitalter aufrechterhalten.

Wenn Sie von Kryptobetrug betroffen sind, bestehen Sie auf Ihrem Recht, dass der Fall in Österreich verfolgt wird, sofern Sie hier getäuscht wurden oder von hier aus Überweisungen getätigt haben. Lassen Sie sich nicht vorschnell abweisen, wenn eine Staatsanwaltschaft die Zuständigkeit verneint. 

Für weitere Informationen und individuelle Beratung stehen wir ihnen jederzeit unter office@atb.law bzw. telefonisch unter 01 39 12345 zur Verfügung.